"Ein Satz auf einer Info-Tafel in Schwentinental sorgt für Streit: Der Ortsverein des Heimatbundes hatte im Zusammenhang mit einem ehemaligen Barackenlager den Begriff "ausländische Arbeitskräfte" statt Zwangsarbeiter verwendet.
Die Heimatbund-Chefs forderten Änderungen. Im Interview erklärt die Ortsvereins-Vorsitzende Susanne Leyk, wie der Heimatbund reagieren wird, warum ihr Engagement so eng mit ihrer eigenen Geschichte verknüpft ist und welchen Fehler sie begangen hat.
Frau Leyk, wie haben Sie im Vorstand auf die umstrittene Passage reagiert, in der von Arbeitskräften statt Zwangsarbeitern die Rede ist?
Susanne Leyk: Der Vorstand hat mich beauftragt, die ganze Sachlage noch mal zu recherchieren und dass wir dann die Gedenktafel entsprechend anpassen.
Was heißt anpassen?
Wir werden eine Mitgliederversammlung einberufen, weil wir den Text ändern, der damals von der Mitgliederversammlung beschlossen wurde.
Was geschieht bis dahin?
Die umstrittene Passage auf der Tafel ist abgeklebt, aus dem Internet ist sie schon entfernt. Das ist auch möglich, denn es geht um einen Halbsatz, der mit dem ursprünglichen Gedanken, wem mit dieser Gedenkstätte gedacht werden soll, eigentlich gar nichts zu tun hat.
Warum haben Sie nicht schon reagiert, als der Landesverband sich wegen der umstrittenen Passage bei Ihnen im vorigen Jahr gemeldet hat?
Da hätte ich wacher sein müsse, das muss ich eingestehen. Aber das Thema war - wie mir von den Vorgängern im Vorstand übermittelt wurde - abgeschlossen. Eigene Erkenntnisse zur Vorgeschichte hatte ich nicht, da ich erst vor Kurzem den Vorsitz übernommen habe, nachdem mein Amtsvorgänger plötzlich verstorben war. Es hat wohl vor meiner Zeit mehrere Gespräche gegeben, zum Beispiel mit der damaligen Präsidentin 2011 genau zu diesem Thema und dann ist die Passage vom Landesverband so akzeptiert worden. Danach ist vom Landesverband über Jahre zu diesem Thema nichts mehr gekommen. Ende 2018 hat es noch ein Gespräch des mittlerweile verstorbenen Vorsitzenden und mit dem Präsidium des Landesverbandes gegeben. Auch dort war die in Rede stehende Kritik gar kein Thema mehr. Und somit war auch für mich die Sache erledigt.
Haben Sie persönlich einen Fehler gemacht?
Ich hätte auf die Mail 2019 mehr Augenmerk legen können oder müssen. Das ist das einzige, dass ich mir zurechnen muss.
Lassen Sie uns konkret über die umstrittene Passage reden. Was wissen Sie über das Lager Karkkamp?
Ausweislich des Lagerbuchs, welches mir zwischenzeitlich vorliegt, waren im Oktober 1942 im Lager Karkkamp 236 Italiener gemeldet. Damals waren es noch Verbündete. Ab 1945 kamen die Geflüchteten. Was in den zwei Jahren von 1943 bis 1945 geschehen ist, galt es, für mich zu recherchieren. Die Passage muss jetzt auch richtig sein, da lasse ich mich auch nicht drängen.
Es klafft also eine Lücke von zwei Jahren in der Historie, die wissenschaftlich noch unerforscht ist?
Nein! Es gibt zwar zwei Meinungen. Aber die Ergebnisse der Spurensucher, einer Gruppe aus der Volkshochschule, die mir mittlerweile zugänglich sind, belegen nach meinem heutigen Kenntnisstand, dass in der Zeit dort Zwangsarbeiter gewesen sind. Wobei die Spurensucher zum Teil auch von „Fremdarbeitern“ reden. Ich versuche jedenfalls, dass jetzt so neu zu formulieren, dass ich persönlich den geänderten Text vertreten kann. Ich betone aber nochmals, dass es auch meinen Vorgängern in keiner Weise um das Leugnen von Nazi-Gräueln ging. Möglicherweise ist aber im Bestreben um eine neutralere Formulierung eine zu verniedlichende entstanden.
Am Ende bringen Sie die Wahrheit ans Licht?
Mir ist es nur wichtig: Die Tafel dient dem Gedenken daran, was die Flüchtlinge nach dem Krieg für Raisdorf geleistet haben. Das ist ganz wichtig und das ist auch in der heutigen Zeit so wichtig. Raisdorfs Bevölkerungszahl hat sich verdoppelt direkt nach dem Krieg durch die Geflüchteten und Heimatvertriebenen und die haben in dem Lager Karkkamp gelebt und haben initiiert, dass Raisdorf eine eigene Kirche bekommt.
Wie kam es dazu?
Sie haben sich in ihrem Speisesaal, einer Baracke, ein Holzkreuz aufgestellt. Der damalige Pastor hat dort Gottesdienste abgehalten, irgendwann durften dann auch Raisdorfer dazukommen. Und daraus ist nachher die St.-Martins-Kirche entstanden, die 1960 gebaut wurde. Das ist der Hintergrund der Friedensglocke, an der die Tafel mit der umstrittenen Passage steht. Aus den Flüchtlingen wurde auch einer der Bürgermeister rekrutiert, sein Grab pflegen wir jetzt noch als Heimatbund. Und dann haben wir noch das Streufert-Denkmal. Das ist für uns die Gedenkstätte, mit der wir stellvertretend den Opfern der Naziherrschaft gedenken.
Was hat es mit dem Denkmal auf sich?
August Streufert war ein SPD-Kreistagsabgeordneter in Stralsund, der während der Nazi-Zeit im Widerstand aktiv war, hierher geflohen ist, in Kiel Arbeit und in Raisdorf mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn Siegfried auch eine Wohnung gefunden hat. Aus dieser ist er an einem Tag im August 1944 morgens um 5 Uhr abgeholt worden, ist nach Russee gebracht worden ins Lager und dann weiter nach Neuengamme. Dort ist er – wie so viele – zu Tode gekommen. Sein Sohn, Prof. Dr. Siegfried Streufert, hat über seine Zeit in Raisdorf das Buch „Drachenwind“ geschrieben. Wir hatten bis zu seinem Tod im letzten Jahr noch regen Kontakt. Siegfried Streufert und seine Familie, die auf Hawaii und in den USA leben, haben uns regelmäßig hier besucht. Zu seiner Frau Glenda, die Hawaiianerin ist, gibt es weiterhin regen Kontakt. Ein gegenseitiger Besuch scheiterte dieses Jahr an Corona.
Was macht Streuferts Leben so besonders?
Weil wir diese Familiengeschichte so gut recherchieren konnten, war es dem Heimatbundein Anliegen, sein Leben zu beleuchten. Es ist schon ein bewegendes Schicksal, auch weil das eben so nah ist und die Beschreibungen so genau sind. Man weiß genau, wo das Haus gestanden hat, aus dem er abgeholt wurde. Zu meiner Zeit als Bürgermeisterin haben wir auch eine Straße nach ihm benannt. Das ist das, was der Heimatbund Schwentinental, stellvertretend für alle Opfer des Nationalsozialismus, als Gedenkstätte hat: die Familiengedenkstätte für die Streuferts.
Woher kommt Ihr Engagement, das Gedenken aufrechtzuerhalten?
Ich bin gebürtige Raisdorferin, bin Jahrgang 1960, und das war kurz nach der Zeit, in der die Geflüchteten in den 1950er-Jahre in ihre eigenen Häuser kamen. Meine Eltern sind 1959 nach Raisdorf gezogen. Ich kenne auch das Barackenlager am Jahnplatz noch. Insofern bin ich an der Geschichte schon sehr interessiert. Ich spüre eine tiefe Verbundenheit.
Interview Robert Michalla
Quelle: KN vom 23.7.2020 / Ostholsteiner Zeitung
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